Der März und mein Kampf gegen den Pile of Shame
Dieses Jahr habe ich mir Großes vorgenommen: meinen Pile of Shame endlich ernsthaft anzugehen. Da steht nämlich ein ganzes Regal voll mit Brettspielen, das mich täglich anschaut wie ein nasser Hund im Regen – traurig, ungespielt, vorwurfsvoll. Und ich? Normalerweise fahre ich nur mit den Fingern sanft über die Schachtel und Murmel „Dich spiele ich bestimmt bald“, aber diesmal ist es ernst.
Also: März, Ärmel hoch, Hirn an, Regelhefte auf!
Einige Spiele habe ich tapfer selbst vorbereitet (Regelheft + YouTube + Gebet). Manche Spiele hab ich mir dann doch lieber von Mitspielern erklären lassen. Ich nenne das „pädagogisch wertvollen Regeltransfer“, andere nennen es „faul“. Win-win, für mich!
Angerockt
Coffee Traders – Wenn der Kaffee kalt ist, obwohl das Spiel heiß sein soll
Den Anfang machte für mich Coffee Traders von Skellig Games. Klingt doch nach einem entspannten Spiel für Kaffee-Liebhaber, oder? Falsch gedacht. Das Ding ist ein Heavy Euro – und ich mag ja komplexe Spiele… aber hier wurde der Kaffee irgendwie nur kalt serviert. Und ohne Milch.
Strategische Worker Placement-Orgie? Check. Schönes Material? Doppel-Check. Spielspaß bei drei Spielern? Ehh… sagen wir mal: eher lauwarmer Kaffeefleck. Es war völlig egal, was man tun wollte – irgendwer stand garantiert schon genau da, wo man hinwollte. Manchmal hatte ich das Gefühl, meine Mitspieler wussten in Echtzeit, was ich vorhabe, und schickten aus purer Bosheit vorher einen Arbeiter dahin. (Nein, ich bin nicht paranoid… glaub ich.)
Vielleicht lag’s an der Spielerzahl – empfohlen sind ja vier, und wir waren nur zu dritt. In jedem Fall: hübsch, komplex, aber mir persönlich zu viel Ellenbogen und zu wenig Espresso. Vielleicht liegt’s aber auch daran, dass ich lieber Kaffee trinke, als mich von ihm demütigen zu lassen.
Mein persönliches Kurzfazit: Kaffee ist toll. Dieses Spiel ist… eher koffeinfrei.


D.E.I. – Divide et Impera oder: London Calling mit Eiszapfen
Ah, Divide et Impera! Von Ludus Magnus Studio, meiner Lieblingsspieleschmiede, die es irgendwie schafft, bei jedem Spiel fantastische Miniaturen UND absolut katastrophale Regelhefte abzuliefern. Bravo!
Nach einem kleinen Regel-Hindernisparcours (Google, Foren, tiefes Atmen), war’s dann aber so weit: Wir spielen postapokalyptisches Schneeschippen in London, jeder in der Rolle einer eigenen Fraktion mit asymmetrischen Fähigkeiten. Der „Weiße Tod“ hat alles eingefroren, und eine schlaue Gruppierung namens Zitadelle hat gesagt: „Hey, wir retten euch – gegen Bezahlung.“ Klingt nach meiner letzten Stromrechnung.
Das Spielbrett ist modular, aber leider auch modular gleich aussehend – Schnee ist halt Schnee. Aber trotz der frostigen Kulisse geht’s überraschend zivilisiert zu: Keine direkte Gewalt, nur höfliches „Ich habe hier jetzt mehr Figuren als du, bitte geh.“ Britischer geht’s kaum. Das Ganze kombiniert Area Control, Deck Building und Mechs. Jede Fraktion hat einen eigenen, coolen Roboter, mit dem sie ihren eisigen Willen durchsetzt.
Wir haben gleich zwei Partien gespielt – einmal mit Standardfraktionen (Spaß!), einmal mit Erweiterungsfraktionen zu zweit (Pfui!). Lesson learned: Das Spiel blüht erst ab drei, besser vier Spielern so richtig auf. Aber wenn es blüht, dann wie eine Schneerose im Atompilz. Ich freu mich schon auf die nächste Runde!
Mein persönliches Kurzfazit: Kaufen.


Chamber of Wonders – Mehr Kammer als Wunder
Dann kam Chamber of Wonders – und mit ihm die Erkenntnis, dass auch Lieblingsverlage mal einen Griff ins Kuriositäten-Klo machen dürfen. Auch dieses Spiel ist aus dem Hause Ludus Magnus Studio.
Worum’s geht? Man spielt Kuriositätenhändler im viktorianischen London (ja, wieder London – vielleicht kriegen die Studiomitarbeiter ja eine Finanzförderung vom britischen Königshaus?). Man sammelt Monsterteile, Bücher und anderen Trödel, um die beste Ausstellung zu bauen. Klingt schräg und lustig? War’s leider nicht.
Nach 20 Minuten war bereits alles vorbei. Das meiste hängt davon ab, ob du zufällig die richtigen Karten ziehst, die zusammenpassen. Set-Collection mit Gefühl – oder eher mit Glück. Das strategische Element ist so dünn, dass ich ernsthaft dachte, ich hätte Regeln überlesen. Hatte ich nicht. Es ist wirklich so belanglos.
Eine schöne Verpackung mit einem Spiel, das sich anfühlt wie ein Prolog ohne Buch. Es hat mich so traurig zurückgelassen, dass ich sogar vergessen habe ein Foto zu machen…
Jetzt sitze ich da und schiele misstrauisch auf die anderen ungespielten Ludus Magnus-Spiele in meinem Regal. Ich habe Angst.
Mein persönliches Kurzfazit: Lass liegen. Oder verschenke es an Leute, die du passiv-aggressiv nicht magst.

Dawn of Madness – Willkommen im textbasierten Psychowunderland
„Lass mal ein Kampagnenspiel spielen“, sagten wir. „Wird bestimmt lustig“, sagten wir. Und so saßen wir zu dritt ein Wochenende lang in der tiefsten Brettspielhölle – auch bekannt als Dawn of Madness.
Ein Spiel mit so viel Story, dass selbst Tolkiens Rohfassung von „Silmarillion“ dagegen wie ein Telegramm wirkt. Jeder Spielercharakter hat seine eigene kaputte, psychologisch verstörende Geschichte. Wir reden hier von textbasierten Alpträumen mit Miniaturen. Und nein, das ist keine Kritik. Es war fantastisch. Gruselig. Verstörend. Großartig.
Das System ist solide, die Kämpfe taktisch, und die Atmosphäre dick wie Nebel in Silent Hill. Klar, das Spiel hat fünf Jahre auf sich warten lassen, und bisher ist nur „Welle 1“ angekommen – aber hey, für mich war das gut. Weil das Spiel dadurch auf dem Zweitmarkt zu einem Preis rausgehauen wird, bei dem ich dachte, ich hätte das Spiel aus Versehen geklaut.
Falls du das Spiel daheim liegen hast: Spielen! Nicht verkaufen! Wer’s verkauft, verliert nicht nur ein Spiel, sondern einen Seelenverwandten mit Tentakeln. Und wer’s noch nicht hat, sollte zuschlagen.
Wer mag kann meinen ausführlicheren Bericht hier lesen.
Mein persönliches Kurzfazit: Definitiv kaufen und lieben. Und danach Therapie machen.


Fromage – Ein Genuss für Kleinstrategen und Käsefreunde!

Als echter Käse-Connaisseur musste ich natürlich Fromage ausprobieren – ein Spiel, das so taktisch ist wie ein gut gereifter Camembert! Und was soll ich sagen? Leicht zu lernen, in 40 Minuten weggesnackt, aber mit genug Tiefgang, dass man nicht einfach nur drauf losmampft.
Die größte Herausforderung: Wann bekomme ich welchen Arbeiter zurück? Schließlich brauche ich in zwei Runden genau den richtigen, um meinen Käse herzustellen – denn ohne Käse, keine Punkte! Dabei spielen alle gleichzeitig, was bedeutet: Keine Wartezeiten, aber auch keine Chance, genüsslich das Treiben der Konkurrenz zu beobachten. Und genau da liegt die Krux: Während man noch strategisch überlegt, wer wann wo welchen Blauschimmel reifen lässt, schnappt einem jemand den lang geplanten Platz auf dem Brett weg – ein Albtraum, schlimmer als ein leerer Käseteller!
Das Spielfeld selbst ist in vier Teile unterteilt und dreht sich jede Runde wie eine edle Käseplatte auf einer gehobenen Weinverkostung. Dadurch ändert sich ständig, wo man Ressourcen einsammeln und Siegpunkte ergattern kann. Ein absolut cleveres Konzept, das das Käse-Thema nicht nur auf die Packung, sondern direkt ins Gameplay integriert!
Auch optisch macht Fromage einiges her: Schöne Materialien, liebevolles Design – fast zu schade, um es nicht auf einem Holzbrett mit Trauben zu servieren. Dank variabler Startaufstellung und asymmetrischer Spielerfähigkeiten bleibt das Spiel frisch wie ein gerade aufgeschnittener Mozzarella und hat einen hohen Wiederspielwert.
Natürlich ist es nicht das beste Spiel der Welt (wir reden hier schließlich nicht von einem perfekt gereiften Comté), aber es eignet sich wunderbar als Absacker oder als köstlicher Appetizer für einen langen Spieleabend.
Und weil ich den Hals – oder besser gesagt, den Magen – nicht voll genug kriegen kann, werde ich mir auch die Standalone-Erweiterung Formaggio schnappen, die gerade auf Kickstarter läuft. Denn mal ehrlich: Mehr Käse ist immer besser!
Mein persönliches Kurzfazit: Mitspielen!

Die Weiße Burg – Kettenzug das Spiel
Nachdem es seit Essen 2023 hier rumliegt, hatte ich nun endlich meine Erstpartie mit der Weißen Burg – und fühle mich ein bisschen wie ein Samurai vor einer schwierigen Entscheidung: Ehre oder Rückzug?
Einerseits finde ich den variablen Aufbau großartig – jedes Mal eine neue Herausforderung, fast so, als müsste ich Burg Himeji nach einem Erdbeben neu zusammensetzen. Andererseits ist die Downtime hoch, dass man in der Zwischenzeit locker ein Teehaus eröffnen und den ersten Gästen schon das zweite Kännchen servieren könnte.
Mir fallen auch sofort ein paar Mitspielende ein, mit denen ich das lieber nicht spielen werde – die grübeln jetzt schon ewig über jeden Zug. Und das ist nicht mal ihre Schuld! Die ganzen Kettenzüge und der dynamische Aufbau sorgen dafür, dass man sich vor dem eigenen Zug oft gar keinen echten Plan machen kann, wie man z.B. seinen Samurai sinnvoll ins Training schickt, um vielleicht doch auch den Gärtner noch zur Arbeit zu bewegen.
Der Sieg war mit 48 Punkten denkbar knapp, direkt gefolgt von zwei Spielern mit 47 Punkten – und weil während der Partie so viel passiert, war bis zum Schluss nicht klar, wer vorne liegt. Das hat mir tatsächlich gut gefallen, denn so bleibt es spannend.
Ich werde es definitiv nochmal spielen, denn mit mehr Erfahrung dürfte das Ganze etwas flüssiger laufen – aber mein persönlicher Shōgun unter den Spielen wird es wohl nicht. Dafür ist mir die Wartezeit einfach zu ehrfurchtgebietend – fast wie der Anblick der echten Burg Himeji selbst.


Europa Universalis: The Price of Power
– oder wie Napoleon es nannte: „Nur noch eine Runde, ich schwöre!“ –
Ich spiele unter anderem mit Marcel, dem Herrn der Spiele, dieses absolut gigantische Brettspiel – online, in einer tapferen Gruppe von Regelforschern. Wir sind mittlerweile in Runde 8 von vermutlich 12. Das klingt überschaubar, aber jede Runde dauert so lang wie ein mittelgroßer Feldzug – 2 bis 4 Stunden, je nach diplomatischer Eskalation und Regel-Lesezeit.
Die Komplexität des Spiels ist so episch, dass „Heavy Metal“ als Kategorie nicht ausreicht. Wenn „Dark Souls“ und „Steuerrecht“ ein Kind hätten – es wäre Europa Universalis. Wenn das Spiel eine Epoche wäre, wäre es das Spätmittelalter: chaotisch, komplex, voller Intrigen – und ständig passiert irgendwas, das niemand kommen sah. Zwei Mitspieler haben bereits mehrere Partien gespielt und sind trotzdem bei den Regeln etwa so sicher wie Napoleon bei seinem Russlandfeldzug. Und ich? Ich spiele Spanien – und wenn’s brennt, erstmal ein Bündnis mit Frankreich schließen. Hat historisch nie funktioniert – aber hey, diesmal lief’s ganz okay.
Während ich also halbwegs in Ruhe meine iberischen Angelegenheiten regelte, machte das österreichische Kaiserreich die Mitte Europas unsicher. Man könnte meinen, er hätte mit dem Heiligen Römischen Reich ein diplomatisches Puzzle zu lösen – in Wirklichkeit war es eher ein panisches Jonglieren mit brennenden Köpfen.
Das Spiel haut dir pro Runde historische Events um die Ohren – „Reformation hier!“, „Thronfolge da!“, „Oh, du hast gerade eine stabile Wirtschaft? Viel Spaß mit einer Bauernrevolte!“ – und plötzlich steht alles auf dem Kopf. Selbst wenn jemand weit vorne liegt, kann ein geschickt gezogener diplomatischer Schachzug, ein Event oder ein unglückliches Missverständnis à la „Du hast meine Grenze verletzt!“ alles ändern. Es ist wie bei der französischen Revolution: Erst alle so „Liberté, Égalité“, und dann plötzlich – zack! – steht einer kopflos da.
Nach 25 Stunden Spielzeit weiß ich eines ganz sicher: Ich kann das Spiel nicht erklären. Keine Chance. Jeder meiner Züge beginnt mit einem regelkonformen Blick in die Anleitung, gefolgt von einem kurzen Gebet an Karl V.
Trotzdem (oder gerade deshalb?) ist das Spiel eine Wucht. Es ist das beste 4X-Brettspiel, das ich je gespielt habe – und demnächst kommt’s sogar auf Deutsch raus! Endlich dürfen auch deutschsprachige Spielende ihren Untergang regelgerecht gestalten. Hier geht’s zur Kampagnenvorschau. Viel Glück. Und denkt dran: Wer früh expandiert, hat später mehr zu verlieren.
Mein persönliches Kurzfazit: Ein absoluter Leckerbissen für Strategiefans, Diplomatie-Liebhaber und Menschen mit einem sehr großen Tisch.


Fazit zum März
Ich habe gelacht, gelitten, gesammelt, gezweifelt, gesiegt, verloren und ganz nebenbei mein Regal ein bisschen erleichtert. (Naja direkt mit ein paar neuen Crowdfunding-Investitionen wieder gegengesteuert). Und mein Pile of Shame? Der ist… immer noch voll. Aber ich glaube er hat etwas mehr Respekt vor mir als vorher.
Am liebsten verliere ich mich in Kampagnenspielen mit Story, Drama und am besten noch moralischen Entscheidungen, die mich nachts wachhalten. Weil was ist schon Entspannung, wenn man auch Existenzkrisen simulieren kann?
Abseits von Kampagnen mag ich´s knackig: Leichte Spiele sind okay, aber mein Herz schlägt für Kenner- und Expertenspiele bei denen das Gehirn nicht einfach nur mitmacht, sondern sich zwischendurch abmeldet und Urlaub beantragt.
Aber: Ich bin auch nur ein Mensch. Wenn das Thema stimmt und die Optik knallt, bin ich sofort verzaubert. Mein Motto? "Theme is King!" – Und ich bin sein loyaler Untertan.