Hilfe, holt mich hier raus
Im Rahmen dieses Artikels habe ich die Recherche-Maschine angeworfen. Mich hat interessiert, welche Studien es zum Umgang mit Extremsituationen gibt. Dabei habe ich den Fokus auf das menschliche Verhalten gelegt. Selbst wenn die meisten von uns abends wohlgehütet in ihren sicheren Wänden einschlafen, sind die letzten Krisen wie Corona oder was gerade in unserer Nachbarschaft passiert, nicht so weit entfernt. Ich will den deprimierenden Gedanken aber nicht zu viel freien Lauf lassen. Eine etwas ältere Studie des Max-Planck-Institut zeichnet ein gutes Bild von der Menschheit. Die eher spielerische Beobachtung war, dass die meisten Menschen anderen zu Hilfe eilen würden, wenn diese in Not geraten. Belassen wir es dabei. Es gibt Spiele, die genau mit dieser Angst spielen. Auch wenn wir nicht in ein Horror-Szenario abdriften, ist The Fog: Escape from Paradise eines davon.
Vor einem mysteriösen Nebel fliehen die Bewohner einer Insel und versuchen sich auf die am Strand dümpelnden Boote zu retten. Das Titelbild zeigt Menschen in Panik, die sich rücksichtslos ihren Weg bahnen. Wenn es eine kitschige Hollywood-Produktion wäre, würden wir noch die nach dem Kind ausgestreckte mütterliche Hand sehen, bevor das Kind in den Menschenmassen verschwindet.
Eingestimmt? Dann geht es jetzt ab zur Rezension.
Steckbrief
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Name | The Fog: Escape from Paradise |
Erscheinungsjahr | 2024 |
Komplexität | Medium Light |
BGG Rank | 7.61 (6744) |
Anzahl Spielende | 1-4 |
Autoren | Robert Müller-Reinwarth |
Illustratioren | Unique Litani Soparie |
Hersteller | XOLLOX Games and Grand Gamers Guild |

Das Spiel ist extrem konfrontativ und von der vorausschauenden Planung her, in Richtung Expertenspiel einzustufen.
Spielprinzip

Vor den Spielenden breitet sich ein größeres Spielbrett aus. Es gibt viele, viele kleine Hexfelder, die mit runden Plättchen – den Inselbewohner*innen – belegt sind. Außerdem gibt es einige nicht begehbare Dschungelflächen außen herum wie auch Hindernisse, die mitten zwischen den Insulanern platziert werden. Am Ende des Spielbrettes gibt es in Abhängigkeit von dem gewählten Spielbrett mindestens drei Schiffe mit unterschiedlichem Platzangebot. Es gilt möglichst viele Insulaner auf die Boote zu retten bevor der Nebel diese Reihe für Reihe verschlingt. Der Nebel wird mittels Balken symbolisiert, der Runde für Runde in Richtung Boote auf dem Spielplan vorrückt.

Das Spiel beginnt aber zuerst ganz harmlos. Wir sehen die Boote, die Insel und dort überall die noch neutralen Figuren. In der ersten Spielphase wählen wir je eine Figur der Reihe nach aus. Dazu wird ein farbige rRing der Spielenden unter die Papp-Figuren gelegt. Am Ende der ersten Spielphase haben alle Personen die Spielfiguren unter sich aufgeteilt.
In der zweiten Spielphase folgen nun die Züge zum rettenden Boot. Dazu haben die Spielenden in ihrem Zug sieben Bewegungspunkte, die sie frei auf ihre Figuren verteilen können. Jetzt kommt der Clou: Unterschiedliche Bewegungen kosten unterschiedlich viele Punkte. Ein einfaches Gehen kostet ein Punkt pro Feld. Die vor einem stehende Figur nach hinten zu ziehen und dafür den vorderen Platz einzunehmen schon drei Punkte. Zwischen zwei Figuren oder Hindernissen hindurch quetschen oder auch das Überspringen von Hindernissen schon vier Bewegungspunkte.

Hinzu kommt noch, dass jede Figur auch noch Sonderfähigkeiten hat. So gibt es Multitalente, die statt vier Punkte für die genannten Aktionen nur zwei Punkte ausgeben müssen. Oder mit besonderer Ausdauer, die immer noch ein zusätzliches Feld weiter gehen dürfen. Damit versuchen die Spielenden also nicht nur die optimalen Wege für ihre Figuren zu finden, sondern auch die Bewegungspunkte optimal auszureizen.
Da gibt es einen weiteren tollen Kniff. Abhängig von der Anzahl an Spielenden hat man alle paar Runden einen Doppelzug, der nur durch die Bewegung der Nebelbank unterbrochen wird. Bei diesem Doppelzug lassen sich mit etwas Glück und Planung ganze Kettenzüge abhandeln.
Am Ende müssen alle Insulaner(, die nicht vom Nebel verschluckt wurden) noch auf die rettenden Boote gebracht werden. Manche Plätze sind nur für bestimmte Figuren vorgesehen – zum Beispiel darf die Matrosen-Figur nur auf Matrosen-Plätze, während andere Plätze für mehrere Figuren jeglicher Art vorgesehen sind. Ist die richtige Figur auf dem richtigen Platz gibt es sofort ein Siegpunkt-Plättchen. Diese sind je Boot abgezählt, begrenzt und absteigend in der Wertigkeit. Früh auf dem Boot zu sein, gibt also höhere Punkte.

Die dritte Spielphase wird eingeleitet, sobald der Nebel den Strand erreicht hat oder keine Figur mehr auf der Insel ist. Hier werden klassisch Siegpunkte gezählt. Dabei werden noch weitere Besonderheiten in den Booten ausgewertet. Jede Figur hat neben dem Marker für die Spielenden noch eine Farbe. Ist die richtige farbige Figur auf dem dazu passenden Boot gibt es weitere Punkte. Der große Punktesalat in Verbindung mit den errungenen Siegpunkt-Plättchen sorgt für ordentlich Überraschung, wenn man die Mitspielenden nicht im Auge hatte.
Fortuna hat bei dem Spiel kaum etwas zu sagen. Es ist eher die Interaktion mit den Spielenden, die einen zum Verzweifeln bringen kann. Es beginnt bereits bei der Auswahl der Figuren in der ersten Phase. Erfahrene Spielende sind hier klar im Vorteil, da sie bereits auf richtige Farbe zu richtigem Boot, wichtige Sonderfähigkeiten und ähnliches einen Fokus legen können. In der zweiten Phase kann nichts frustrierendes passieren, als wenn jemand mit einem Platztausch dafür sorgt, dass die eigene Figur vom Nebel verschlungen wird, während man sich genau mit dieser einen tollen Aktionsplan zu recht gelegt hat. In The Fog: Escape from Paradise geht es schließlich um das bloße Überleben. Da bleibt kein Platz für Herzlichkeit und Rücksichtnahme.
Escape from Paradise lässt sich auch Solo spielen. Das habe ich allerdings nicht ausprobiert.
Unboxing
Turbo hat mir dankenswerter Weise die Deluxe-Version überlassen. Es lässt sich schon vorab sagen: die Retail-Version wäre für mich komplett ausreichend, es sei denn man möchte mehr Variabilität mit den Spielplänen und sogar mit bis zu sechs (statt maximal vier) Spielenden von der Insel flüchten.

Klar ist es schön, dass die Hindernisse und die Nebelbank auf dem Plan aus 3D-Elementen bestehen. Die Pappmarker sind allerdings auch sehr plastisch illustriert. Leider weiß man oft nicht, ob ein neu erworbenes Spiel für einen selbst das Highlight der Sammlung wird. Habt ihr das Gefühl, dass The Fog hier einen Logenplatz einnehmen wird, lohnt sich die Deluxe-Version, weil es eben weitere Spielpläne und die Erweiterung für bis zu sechs Spielende gibt.
Ansonsten klotzt die Flucht von der Insel mit stimmungsvollem Titelbild, stimmigen Artwork, gutem Material und praktischer Sortierhilfe. Die Regeln sind gut aufgebaut und lassen sich entsprechend einfach konsumieren. Es gibt genügend Beispiele, die die Züge erläutern. Darüber hinaus ist der Autor im Forum auf Boardgamegeek sehr aktiv und beantwortet schnell Verständnisfragen.

Es gibt noch weitere Regelvarianten, optionale Module, asynchrone Fähigkeiten und einiges mehr. Obwohl ich sonst nicht so der Mensch für zufällige Spielelemente bin, gefallen mir zwei Karten-getriebene Erweiterungen ganz gut. Mit der Nebelunsicherheit wird die Bewegung des Nebels simuliert. Diese Bewegung kann dann null, ein oder zwei Schritte beinhalten und somit alle Spielende ordentlich rein reißen. In dem zweiten Element gibt es noch Ereigniskarten, die zum Beispiel bestimmte Figuren erschöpfen können, allen Spielenden mehr oder weniger Bewegungspunkte anbieten und so weiter.
Randnotiz
Als ich Turbo auf einer Berlin Con kennengelernt habe, hat er mir zu seinem Universum noch ein paar Sätze mehr erzählt. Ursprünglich hatte er vor, dazu noch eine Geschichte zu schreiben und mehrere Spiele zu erstellen. Zum Beispiel ein Spiel auf hoher See. Wie können sich die Leichtmatrosen gegen die stürmische See wehren und neues, sicheres Land ergattern. Das neue Land bietet genügend neue Ideen à la Catan oder andere Aufbauprinzipen. Und wir wissen immer noch nicht, was eigentlich mit den Insulanern im Nebel passiert. In meiner Phantasie gibt es dann irgendwann noch eine Zombie-Apokalypse. Mal sehen, ob Turbo uns noch mit weiteren Geschichten erfreuen wird.
Übrigens: Er hat sich die gesamte Spielproduktion und Crowdfunding-Kampagne in Eigenregie drauf gedrückt. „Nur“ für die Illustration hat sich Robert (sein Name im wahren Leben) Schützenhilfe gegönnt. Respekt!

Bewertung
Es ist schon sehr erstaunlich, wie ein Spieleautor-Neuling ein ausgereiftes Expertenspiel auf die Beine stellen kann. The Fog: Escape from Paradise hat insbesondere bei den Bewegungskosten Anklänge an das klassische Schachspiel. Dass dann noch die Sonderfähigkeiten dazu kommen, rundet die taktische Tiefe gut ab. Wer mag, kann hier viel im Vorfeld berechnen, ausloten und Züge im Voraus planen. Die Interaktion untereinander ist ausgesprochen hoch. Schnell kann man einem Mitspielenden die rettenden Wege verbauen, den letzten Platz auf dem Schiff wegnehmen oder viel schlimmer dafür sorgen, dass eine eigene Figur vom Nebel verschluckt wird.

Die Taktik beginnt allerdings bereits beim Spielaufbau. Diejenigen, die es schon öfter gespielt haben, werden sich die besten Figuren sichern, während Neulinge wahrscheinlich relativ wahllos ihre Figuren markieren. Von daher lohnt sich das Spiel – wie Schach im Übrigen auch – mit Spielenden auf Augenhöhe zu erleben. Downtime und viel Zeit zum Überlegen werden hier öfter vorkommen.
Thematisch ist das Spiel in den Testrunden unterschiedlich gut angekommen. Ich kann gut die nackte Panik der Insulaner nachempfinden. Auf dem Spielfeld herrscht reges Quetschen, Drängeln und Überspringen. Nur wer das Schiff erklimmt, entkommt dem Nebel.
In Summe ein komplett solides Spiel bei dem ich immer wieder gern eine Partie mitspiele. Aber eben auch nichts für gemischte Spielgruppen. Daher bleibt ein analog rockt Meeple im Nebel stecken und es gibt

Punkte.
Wir haben auch ein Video mit (für uns) lustigem Intro zu dem Spiel gemacht. Es gibt auch eine kleine Regelübersicht. Schaut doch auch hier mal eben rein.
(c) Copyright Xollox Games
Icons von Icons8
Grafik(en) und Bild(er) von Horst Brückner
Bannerbild von Timur Kozmenko ( Pixabay). Für die Rezension hätte ich mir kaum ein stimmungsvolleres Bild wünschen können. Türkisfarbenes Wasser, eine leichte Brandung und ein kleiner Sandstrand vor der Kulisse des undurchsichtigen Dschungels. Spürt ihr schon, wie der Nebel langsam näher kommt?
Das Spiel ist ein Rezensionsexemplar. Diese Rezension ist unentgeltlich durchgeführt worden und spiegelt meine persönliche Meinung wider.











Thematische, narrative und verzahnte Spiele ... hier geht mein Herz auf. Dazu eine stimmige Vinyl-Schallplatte (oder Playlist) und los geht das Abtauchen in die Spielwelt. Als Spielleiter und Spieler kann ich mich auch vortrefflich in Pen-und-Paper-Welten tummeln. Bei Videospielen bin ich raus. Ist mir meist zu schwer (einzige Ausnahme: Super Mario Kart).