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analog rockt Brettspielrezensionen

Von Fantastischen Reichen und verfluchten Schätzen

Der Artikel wurde von Horst geschrieben. 14 Minuten Lesezeit

In meiner Kindheit waren gerade Quartett-Spiele der totale Renner. Dabei kenne ich eigentlich niemanden, der versucht hat vier zusammengehörige Karten zu sammeln. Vielmehr haben wir Supertrumpf der Firma Ass gespielt. Da wurde lauthals mit PS, Zylinder, Hubraum und ähnlichem um sich geworden. Meist wussten wir nicht einmal, was die Zahlen alles bedeuten und ob es gut war viel oder wenig davon zu haben. Daher war es einfach immer die größte Zahl, die uns besonders wichtig erschien. Die Zeiten von Supertrumpf sind nun endgültig vorbei. Aber das Sammeln von Karten und den richtigen Sets steht bei den Fantastischen Reichen aus dem Hause Strohmann Games wieder im Vordergrund. Diesmal ist das auch deutlich spannender als damals. Versprochen.

Aus dem Tagebuch eines Fantastischen Reiche Spielers:

Sieben Karten auf der Hand. Darunter eine tolle Bestie – den Drachen. Leider fehlt mir das passende Gegenstück zum Drachen. Ich benötige noch einen Zauberer auf der Hand, sonst werden meine Siegpunkte um 40 gemindert. Ich könnte den Drachen jetzt abwerfen. Aber wahrscheinlich komme ich noch einmal in dieser Partie dran. Okay, ich zocke. Oh nein, meine Nachbarin wirft einen Zauberer ab. Hoffentlich nimmt den keiner bis ich wieder dran bin …

Steckbrief

  • Art: kompetitiv
  • Genre: Familienspiel, Kennerspiel
  • Kern-Mechaniken: Kartenspiel, Set-Collection
  • Spielname: Fantastische Reiche, Erweiterung Der Verfluchte Schatz
  • Verlag: Strohmann Games (WizKids)
  • Autor: Bruce Glassco
  • Illustration: Octographics.net, Patricia Rodriguez
  • Alter: 10+ (lt. Verlag)
  • Spieler*innen: 2 – 6
  • Dauer: 20 Minuten

Spielprinzip

In den Fantastischen Reichen müsst ihr ein Set aus Karten zusammenstellen. Das Kartendeck mit den meisten Punkten gewinnt. Die Karten oder Elemente auf den Karten können einander begünstigen. Daher ist das Sammeln von zusammenpassenden Karten für den Sieg extrem förderlich. So einfach lässt sich die Grundmechanik des Spiels erläutern.

Aufbau einer Karte: Oben Punkte und Name, links Farbe und unten Bonus respektive Strafe.
Aufbau einer Karte: Oben Punkte und Name, links Farbe und unten Bonus respektive Strafe.

Der Teufel steckt allerdings im Detail. Dazu müssen wir einen tieferen Blick in die Karten werfen. Jede, der über 50 Spielkarten, kommt im Spiel exakt ein mal vor. Im Grundspiel (Erweiterung) weisen die Karten eine Punktwertung von 0 bis 50 (-50 bis 50) auf. Diese Punktewerte sind dominant in der linken Kartenecke mit einem Blick zu entnehmen. Jede Karte hat darüber hinaus noch eine von zehn (dreizehn) Farben.

Die Farben stellen eine Art Karten-Kategorie wie etwa Armee, Waffe oder Flamme dar. Auch wenn es deutlich mehr als vier Karten jeder Farbe gibt, kommt dies den Kategorien aus den klassischen Quartett-Spielen am nächsten. Auf den Karten wird die Farbe am linken Rand abgetragen.

Unterschiedliche Farben …
Unterschiedliche Farben …

Jede Karte hat noch einen eindeutigen Namen. Manche Namen wie Gebirge oder Wald muten beim ersten Lesen wie eine Farbe an. Dafür sind solche Begriffe wie Juwel der Ordnung, Königin oder Hydra schon klarer hinsichtlich ihres einmaligen Begriffes. Das verwirrt zu Anfang etwas, wird aber bereits während der ersten Partie in Fleisch und Blut übergehen. Auf den Karten ist der Name oben rechts von den Punkten abzulesen.

… und unterschiedliche Namen.
… und unterschiedliche Namen.

Die spannendsten Elemente sind allerdings die sogenannten Boni und Strafen, die in der unteren Kartenhälfte aufgedruckt sind. Die Einhorn-Karte zum Beispiel ist nur magere neun Punkte wert. Hat man am Ende aber dazu die Prinzessin gibt es einen Bonus von weiteren 30 Punkten. Der Drache ist zwar bereits zu Beginn eine starke Karte mit 30 Punkten. Hat man während der Endabrechnung keinen Zauberer auf der Hand, wird die Karte mit einer Strafe von -40 belastet. So gibt es nun zahlreiche Kombinationsmöglichkeiten. Dabei wird die Farbe und der bestimmte Name einer Karte visuell gut unterschieden. Farben sind in ihrer jeweiligen Farbe dick abgedruckt. Individuelle Kartennamen sind farbig unterstrichen. So weiß man beispielsweise bei dem Drachen auf einen Blick, wird eine einzelne Karte oder eine Kartenfarbe gesucht.

Der Drache ist eine wertvolle Karte, aber nur in Verbindung mit einem Zauberer auf der Hand.
Der Drache ist eine wertvolle Karte, aber nur in Verbindung mit einem Zauberer auf der Hand.

Zug um Zug

Im Modus mit mehr als zwei Personen erhält jeder zum Start sieben Karten auf die Hand. Dieses Handkartenlimit darf in der Regel nicht überschritten werden. Der jeweilige Zug beginnt mit dem Ziehen einer Karte. Dann darf man sich entscheiden, welche Karte auf einen offenen Ablagebereich abgelegt wird und welche sieben Karten auf der Hand verbleiben. Sind bereits durch die vorherigen Spieler*innen Karten in dem offenen Ablagebereich, kann man auch von dort eine Karte ziehen statt vom Nachziehstapel. Sobald die zehnte Karte auf den Ablagebereich abgelegt wird, endet das Spiel sofort.

Sobald die zehnte Karte ausgespielt wird, endet das Spiel und die Sieg-Abrechnung erfolgt.
Sobald die zehnte Karte ausgespielt wird, endet das Spiel und die Sieg-Abrechnung erfolgt.

Die Abrechnung kann mittels Block und Bleistift erfolgen. Dies kann aber vor allem für Anfänger schnell zu einer Tortour werden. Die Sumpf-Karte weist eine Strafe von „-3 für jede Armee und/oder Flamme“. Hat man zusätzlich die Insel auf der Hand, wird diese Strafe wieder aufgehoben. Auf der Homepage von WizKids gibt es zum Glück eine sehr gelungene App zum Download für die gängigen mobilen Betriebssysteme. Damit bleiben auch keine Regel-Interpretation auf der Strecke.

Insel und Sumpf
Insel und Sumpf

Die Zwei-Spieler*innen Variante beginnt etwas anders. Es gibt keine Handkarten, sondern die Karten werden vom Nachziehstapel oder nach dem ersten Zug auch aus dem Ablagebereich gezogen bis beide sieben Karten auf der Hand haben. Dann läuft das Spiel wie gewohnt weiter. Allerdings endet das Spiel erst, wenn die 12. Karte in den Ablagebereich gelegt wird. Die Variante eignet sich besonders gut für Erstspieler*innen, da man sich Zug um Zug mit den Karten und den Effekten vertraut machen kann.

Verlorene Schätze

Es gibt eine kleine Erweiterung Der verfluchte Schatz für das Spiel. Es kommen drei weitere Farben wie Gebäude oder Untote hinzu. Acht Karten werden für den korrekten Spielfluss ersetzt. Die eigentliche Neuheit sind die verfluchten Gegenstände. Diese sind wahlweise einsetzbar und geben manchmal kleinere Vorteile im Spielverlauf. Immer wenn ein verfluchter Gegenstand eingesetzt wird, erhält der*die Spieler*in in der Endabrechnung Minuspunkte. In Testrunden ist der Einsatz der Gegenstände weniger Sieg-entscheidend gewesen als sich ein gutes Kartendeck aufzubauen.

Die verfluchten Gegenstände geben Minuspunkte, wenn sie eingesetzt werden.
Die verfluchten Gegenstände geben Minuspunkte, wenn sie eingesetzt werden.

Frust oder Lust?

Das Hauptelement bei den Fantastischen Reichen besteht aus dem Ziehen von Karten. Kartenziehen ist und bleibt ein Glücksfaktor. Tatsächlich wirkt es aber im Verlauf des Spiels kaum störend. Es kommt natürlich vor, dass man genau die eine Karte sucht. Es gibt speziell eine legendäre Kombination, die mit einem Bonus von 100 Punkten lockt. Dazu muss man die Karten Kerze, Buch der Veränderung, Glockenturm und einen Zauberer seiner Wahl auf der Hand halten. Die ersten genannten drei Karten bringen in Summe keine 15 Punkte zusammen. Sie sind nur in dieser Verbindung so richtig stark. Als Vergleich die bestmögliche Hand im Grundspiel genau mit den oben genannten Karten macht 380 Punkte aus. Allerdings fühlt sich das Suchen nach der einen Karte eher als eigenes (Ver-)Zocken im Spiel an.

Diese Kombination lädt zum Zocken für den Bonus von 100 Punkten ein.
Diese Kombination lädt zum Zocken für den Bonus von 100 Punkten ein.

Die Interaktion bei der Sammlung der richtigen Karten ist immer mal wieder gegeben. Auch wenn es eher unabsichtlich passieren wird, dass jemand eine gute Karte aus der Auslage wegschnappen wird. Trotzdem darf man sich natürlich lautstark darüber ärgern. Man wird fast in jeder Runde auch leichte Optimierungspotentiale finden. Oder gewisse Kombinationsmöglichkeiten finden, die manchmal nur den ein oder anderen Punkt mehr bedeuten. Daher bleibt es auch bis zum Ende spannend für einen selbst.

Es wird ein paar Runden dauern alle Karten gesehen oder gar in der Hand gehabt zu haben. Tatsächlich fühlt sich jede Runde komplett anders an und man ist geneigt, die ein oder andere Sammelstrategie auszuprobieren. In keiner Spielrunde ist es bei nur einer Partie geblieben. Gerade Neulinge wollen fast immer sofort eine weitere Runde spielen. Der Wiederspielreiz ist auch nach längerer Abstinenz gegeben. Die Teilnehmeranzahl und der Spielspaß stehen in keiner Korrelation zueinander. Mit anderen Worten, ob zu zweit oder zu sechst – Freude kommt in jedem Fall auf.

Der Wertungsblock funktioniert. Die App macht es noch einfacher.
Der Wertungsblock funktioniert. Die App macht es noch einfacher.

Unboxing

Das Spiel wird in einer kleinen Schachtel ausgeliefert. Sie hat die Größe eines üblichen Kniffelblocks oder den Spielen der Exit-Reihe. Tatsächlich hätte sie für die reinen Karten kleiner sein können, aber der Wertungsblock für die Endwertung musste auch noch hineinpassen. Die Schachtel bietet damit ausreichend Platz, um die Erweiterung einzusortieren. Allerdings muss dann die Verpackung der Erweiterung entsorgt werden.

Zwischen der ersten und der aktuellen Version wurde das Titelbild überarbeitet. Aus meiner persönlichen Sicht muss ich ein „leider“ hinzufügen. Das alte Titelbild hat mehr Stimmung transportiert, sieht aber auch mehr nach Kampf aus. Das neue Bild ist da deutlich ruhiger. Ein nachdenklicher König schaut die Betrachter an. Es sieht damit aus wie das Cover von The King’s Dilemma aus dem HeidelBÄR Verlag.

Der nachdenkliche König weist auf ein eher taktisches als kampflastiges Spiel hin.
Der nachdenkliche König weist auf ein eher taktisches als kampflastiges Spiel hin.

Das restliche Artwork insbesondere auf den Karten ist in Comic-Stil gehalten und ist wie immer Geschmacksache. Tatsächlich übertrifft es das Titelbild (egal ob alt oder neu) um Weiten. Es ist durchweg stimmig und ist aus einem Guss.

Das Regelheft ist durchweg farbig, mit vielen Bildern und einigen Beispielen ausgestattet. Der Aufbau ist gut strukturiert, so dass ein einfaches Durchlesen von vorne nach hinten ausreicht. Die Berechnung der Siegpunkte wird anhand von zwei Kartendecks nachvollziehbar durchgegangen. Es gibt ein zusätzliches Kapitel für den Zwei-Spieler-Modus und eine zusätzliche Variante. Über eine Fragen-und-Antwort-Rubrik werden eventuelle Regelauslegungen von unterschiedlichen Karten diskutiert. Da die Karten für sich relativ klar beschrieben sind, ist es gerade im Zusammenspiel mit anderen Karten so deutlich besser. Daher ist diese FAQ-Rubrik wirklich wichtig und aussagekräftig. Hin und wieder wird es trotzdem bei der Abrechnung noch zu Auslegungsfragen kommen. In meinen Spielrunden hat hier die App durch das praktische Ausprobieren die besten Antworten geliefert.

Die Schachtel hat genug Platz für die Erweiterung.
Die Schachtel hat genug Platz für die Erweiterung.

Bewertung

Die Fantastischen Reiche haben etwas ganz besonderes geschaffen. Egal, ob man eher aus der Familienspiel-Ecke oder der Vielspieler-Ecke kommt, es macht allen Beteiligten Spaß. Wir haben es sogar in einer Runde mit einer 80-Jährigen gespielt. Die Fantastischen Reiche sind 2021 im Rahmen des Kennerspiel des Jahres nominiert worden.

Die Zusatzeffekte der Karten sind anspruchsvoll und es wird kaum Gelingen nebenbei die exakten Punkte auszurechnen. Dafür ist zu viel Bewegung in der eigenen Hand. Fast jede Runde gibt Optimierungspotenzial und daher ist bis zum Ende die Spannung entsprechend hoch. Glücksfaktoren sind selbstverständlich dabei, trüben das eigentliche Spielgeschehen aber kaum.

Mit der Bewertung für die Erweiterung ist das so eine Sache. Die zusätzlichen Karten und Kartenfarben sind grundsätzlich gelungen. Die verfluchten Gegenstände braucht es nicht wirklich und stört eher das Spielgefühl. In der abschließenden Bewertung ist die Erweiterung daher nicht berücksichtigt und nach meinem Dafürhalten benötigt es dieses nicht in einer Spielesammlung.


Punkte

  • Thema: 4 von 5
  • Mechanik: 3 von 5
  • Wiederspielwert: 5 von 5
  • Strategie: 3 von 5
  • Qualität: 5 von 5

Gesamtwertung 4 von 5

Rating 4 von 5 Meeple
Rating 4 von 5 Meeple

Einzelsession oder Wiederholungstäter? Wiederholungstäter

Einsteiger-Freundlichkeit? Auf jeden Fall.

Das Spiel habe ich privat erstanden. Diese Rezension ist unentgeltlich durchgeführt worden.


Autoren Posts

Thematische, narrative und verzahnte Spiele ... hier geht mein Herz auf. Dazu eine stimmige Vinyl-Schallplatte (oder Playlist) und los geht das Abtauchen in die Spielwelt. Als Spielleiter und Spieler kann ich mich auch vortrefflich in Pen-und-Paper-Welten tummeln. Bei Videospielen bin ich raus. Ist mir meist zu schwer (einzige Ausnahme: Super Mario Kart).

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