Der große Knall kommt zum Schluss.
Nemesis – die einen lieben’s, die anderen … haben wohl schon zu viele Facehugger an der Futterluke gehabt. Fest steht aber: Das Ding hat damals mächtig Wellen geschlagen. Anfang 2018, noch vor Gamefound, hat Awaken Realms Nemesis auf Kickstarter gezüchtet, später folgte Lockdown als Spin-off und jetzt Retaliation als neuester Wurf. Die englische Version ist schon gelandet, also habe ich sie ausgiebig gespielt, während ich noch auf meine deutsche Box warte. Also Motion-Tracker an, Sauerstoff gefüllt – los geht’s in den Abschluss der Nemesis-Saga.
Um es mal mit Filmen zu vergleichen: Wenn Nemesis/Lockdown „Alien“ ist, dann ist Retaliation „Aliens“. Keine halb-panischen Zivilisten mehr, sondern kampferprobte Schießwütige mit zu viel Munition und zu wenig Geduld. Gut so, denn hier kommt nicht ein Alien, sondern ganze Wellen von Bio-Salami. Als wärst du das Zuckerteilchen vom Bäcker und die Aliens sind die Wespen.

Spielprinzip
Diesmal wird das Board erst im Spielverlauf gebaut. Am Anfang steht nur ein Rahmen mit Eingang, Zeitleiste, Missionskarte, Sauerstoffanzeigen und der Station des zufälligen Roboters, den wir später fernsteuern dürfen. Charaktere werden zufällig gewählt, landen auf dem Landeplatz und bekommen je zwei persönliche Ziele, von denen du jederzeit eines festlegen kannst (sogar erst am Ende). Frühes Festlegen bringt aber Vorteile in Form von Zusatzkarten. Klingt kooperativ? Semi, Baby. Das Hauptziel ist gemeinsam, die persönlichen Ziele haben … sagen wir … „Konfliktpotenzial“. Trau niemandem, der so freundlich „Ich decke deinen Rücken“ sagt und dann „aus Versehen“ den Selbstzerstörungsknopf drückt.
Unsere Mission könnte sein: Alien-Queen finden, grillen, nichts kaputtmachen und wieder abdampfen. Ich erinnerte mich an meine erste Lockdown-Partie: Queen in Runde 1 gezogen, zwei Sekunden später war ich Marsmilben-Müsli. Diesmal haben wir aber mehr Feuerkraft – was kann da schiefgehen?

Rundenfluss & Handmanagement
Jede Figur hat 10 charakterspezifische Aktionskarten; pro Runde ziehst du 5 und kannst pro Zug 2 Aktionen machen. Aktionen kosten Karten: Bewegen 1, vorsichtig bewegen 2, Räume nutzen 2, angreifen 1, usw., oder die Kartenaktion selbst. Du kannst dir also denken, dass du mit 5 Karten pro Runde gar nicht so weit kommst. 2–3 Züge, mehr ist nicht drin und dann sind schon die Aliens dran.
Neu ist, dass jeder Charakter einen Rang hat und mit einer Karte Befehle an niederrangige Kameraden verteilen kann. Militärisch logisch, spielerisch würzig – denn Befehle kann man auch verweigern. Hab’ ich erwähnt, dass es semi-kooperativ ist? Es kann also sein, dass die Aliens gar nicht dein größter Feind sind.
Erkundung, Lärm & Sauerstoff
Die Station hat drei Bereiche A/B/C (jeder mit eigener Luftversorgung). Beim Erkunden ziehst du eine Erkundungskarte, und die gibt den Raumtyp, Anschlusskorridore und Zustand (brennt/defekt) an. Zudem steht noch drauf, ob es sich um einen Raum aus dem Bereich oder einen aus dem zufälligen „?“-Raumstapel handelt. In jedem Bereich steckt nur einmal das Lebenserhaltungssystem. Ziehst du also das „?“, gibt’s in der Runde wohl noch keinen Sauerstoff für dich. Nach jedem Zug ohne Sauerstoff musst du deinen Sauerstoffvorrat reduzieren. Ist dieser auf null, bist du es auch.
Beim Betreten eines Raumes würfelst du Lärm. Der Würfel zeigt 1–4 und ein Alien-Symbol. Du legst Lärmmarker in die gewürfelten Korridore mit derselben Zahl, und bei Doppelbelegung oder Alien-Symbol kommt Besuch aus dem Beutel. Ich ziehe „Erwachsene x3“. Wunderbar. Immerhin spawnen Gegner im Korridor, denn sonst würdest du die Tür aufmachen und direkt als Space-Carpaccio enden.

Kämpfen, Korridore & Queen
Mit „Burst“ darfst du in Korridoren ballern: Der Burst-Würfel zeigt bis zu 4 Schaden, frei verteilbar. Kleine Aliens im Flur haben nur 1 HP, aber im Raum mutieren sie gefühlt zu Betonklötzen. Jede Attacke richtet erstmal automatisch eine Wunde an (schon mal cool), dann würfelst du den Trefferwürfel: Gleich oder unter der aktuellen Wundenzahl tötet das Alien, und ein kritischer Wurf killt direkt. Munition verbrauchst du nur bei Munitionssymbol oder speziellen Aktionen – das ist nice.
Die Queen funktioniert anders. Sie hat ein eigenes Deck mit vielen Karten, die du abarbeiten musst. Wenn du genug Wunden angerichtet hast, wird eine der Karten aufgedeckt, deren Effekt ausgeführt und die Anzahl an angegebenen Karten vom Deck abgeworfen, bis alle Karten weg sind und die Queen zu Boden geht. Also: Mit viel Glück musst du nicht so oft Karten abhandeln, aber mit Pech (also immer) wird es ein endloser Kampf gegen Windmühlen. Besonders wenn deine „treuen“ Teamkameraden schon geflüchtet sind … diese Hunde.

Der hilfreiche Blechkumpel
Findest du den Roboraum, kannst du den Bot über Computerräume fernsteuern. Die Art des Roboters ist zufällig: Reparaturdrohne, Kampf-Bot usw. Sehr nützlich und ein Kumpel, der dich wahrscheinlich nicht verrät.
Stationsevents, Fallen & Paranoia
Die Station und Ziele können sehr vielfältig sein. Es gibt zum Beispiel eine Selbstschussanlage, und keiner weiß vor einer Prüfung, ob sie aktiv ist. Und falls sie aktiv ist, wird das Fluchtshuttle direkt abgeknallt. In der Kryokammer könnte man sich sicher fühlen, aber was, wenn die Basis durch Brände oder Aktivierung der Selbstzerstörung explodiert? Der einzig sichere Weg ist die Fluchtkapsel. Großartig, dass die gesamte Station über eine einzige verfügt. Natürlich passt auch nur eine Person rein. War sicher für den Stationsmanager. Auf jeden Fall bleibt es bis zum Ende spannend, wer vielleicht doch noch gewonnen hat. Aber Vorsicht: Jede Infektion könnte dich auch noch töten, sobald du die Station verlassen hast. Die Karten werden mit einem Scanner aka roter Folie gelesen und verraten dann, ob du infiziert bist oder nicht.

Unboxing
Die Box des Grundspiels hat einen ordentlichen Lid Lift, welcher aber verschwindet, sobald die zahlreichen Stanzbögen ausgeweidet wurden. In der Box kommt zuerst die Anleitung auf dich zu. Leider ist diese nicht besonders gut geworden. Ein Index wäre hier sinnvoll gewesen, um schnell die wichtigsten Infos zu finden. Stattdessen findet man sich immer wieder am Hin- und Herblättern. Dafür gibt es immerhin auch noch 2 Übersichtsblätter mit allen Räumen inkl. ihrer Beschreibungen.
Weiter unten kommen schon die ersten Trays mit Miniaturen, zahlreichen Token und Platz für die ausgestanzten Pappteile. Die meisten Miniaturen sind wie üblich in Trays, die kleineren Aliens liegen aber lieblos in Tüten. Klar, Trays dafür hätten wieder mehr Platz benötigt (sind schließlich ganz schön viele), aber für Bemalfreunde ist die Aufbewahrung in einer Tüte keine Option.
Während die Miniaturen immer detaillierter werden, ist die restliche Materialqualität etwas dürftiger. Das Übersichtsboard mit den Effekten der Tokens ist nur ein dünnes Papier. Den 3D-Token hätte vielleicht auch ein upgrade gut getan. Irgendwie sehr schade, dass gerade die Crowdfunding-Vorzeigefirma Awaken Realms in diesem Bereich etwas nachlässig ist.
Neu im Vergleich zu Nemesis/Lockdown
Räume werden erst angelegt, wenn du sie erkundest. Dazu wird eine Erkundungskarte gezogen, die festlegt von welchem Stapel der Raum genommen wird, wie sein Zustand ist und ob weitere Korridore existieren.
Du würfelst nun immer, ob du Lärm machst, egal, ob du in einen Raum gehst, in dem bereits jemand steht oder nicht.
Vorsichtig gehen lässt dich nicht aussuchen, wo du den Lärm machst. Du musst trotzdem würfeln, darfst aber einen Secure-Token in den Raum legen. Dieser kann einen Alienangriff abhalten.
Aliens erscheinen in Korridoren und können mit der neuen Burst-Aktion dort auch angegriffen werden, während du selbst nicht in Korridoren stehen bleiben kannst.
Du richtest bei einem Angriff automatisch Wunden an, musst aber mit einem Würfel gleich der aktuellen Wunden des Aliens oder darunter würfeln, um ein Alien zu töten. (Der Würfel zeigt 1–5 oder ein Instant-Kill-Symbol.)
Munition verbrauchst du nur durch spezielle Aktionen oder wenn du das Munitionssymbol auf dem Angriffswürfel wirfst.
Das Spiel endet nicht, wenn alle Defekt-Token auf dem Spielfeld liegen, dafür erscheinen bei weiteren Defekten stattdessen Brände. Und wenn alle Brand-Token ausliegen, ist die Station zerstört.
Du verträgst nun 9 Wunden, aber eine kritische Verletzung belegt direkt 3 davon. Bei der 10 Wunde bist du Gulasch.
Es gibt taktische Ausrüstung (wie Extra Munition, Sauerstoff oder Granaten) von denen du am Anfang 4 beliebige mitnehmen kannst. Dazu wird auch noch eine Unterstützende Ausrüstung für jeden Charakter gewählt.
Räume lassen sich, mit der Suchen Karte, nun unbegrenzt oft nach Items durchsuchen.
Ein Roboter in der Station kann durch Computerräume gesteuert werden und dir helfen. Die Art des Roboters (Technik, Kampf, etc.) wird erst aufgedeckt, wenn du ihn findest.
Bewertung
Ich hatte Sorge, dass Retaliation nur Nemesis mit anderem Hut ist. Ist es nicht – Das Kernprinzip wurde sauber auf ein actionlastigeres System umgebaut und steht als eigenes Spiel stabil da. Das Semi-Kooperative knistert weiterhin herrlich toxisch, und es macht absurd viel Spaß, die Biester diesmal wirklich wegzupusten. Wiederspielwert? Jede Partie erzählt neue Geschichten zwischen Heldentum und Verrat und bestem Kopfkino – freue mich auf viele weitere Partien.

(c) Copyright Awaken Realms
Grafik(en) und Bild(er) von analog rockt
Das Spiel ist ein Privatexpemplar. Diese Rezension ist unentgeltlich durchgeführt worden und spiegelt meine persönliche Meinung wider.
Am liebsten verliere ich mich in Kampagnenspielen mit Story, Drama und am besten noch moralischen Entscheidungen, die mich nachts wachhalten. Weil was ist schon Entspannung, wenn man auch Existenzkrisen simulieren kann?
Abseits von Kampagnen mag ich´s knackig: Leichte Spiele sind okay, aber mein Herz schlägt für Kenner- und Expertenspiele bei denen das Gehirn nicht einfach nur mitmacht, sondern sich zwischendurch abmeldet und Urlaub beantragt.
Aber: Ich bin auch nur ein Mensch. Wenn das Thema stimmt und die Optik knallt, bin ich sofort verzaubert. Mein Motto? "Theme is King!" – Und ich bin sein loyaler Untertan.

