Ne – nicht das Star Trek Spiel
Ascendancy ist ein Fantasy-4X-Brettspiel, das klassisches Worker Placement mit Imperiumsaufbau, Diplomatie, Schlachten und Story verbindet. Du führst ein einzigartiges Haus mit asymmetrischen Fähigkeiten, erforschst Technologien, eroberst Gebiete, schmiedest Allianzen – und brichst sie im Zweifel mit einem breiten Grinsen. Politik halt.
Die Kampagne für die Erweiterung (inklusive Reprint) von Ascendancy aus dem Hause One More Turn Games läuft gerade – und ich habe mich gefragt: Brauche ich die überhaupt? Das Hauptspiel liegt seit der Auslieferung noch ungespielt auf meinem Pile of Shame und freut sich über jede Entstaubung. Naja… genau der richtige Anlass, es endlich auf den Tisch zu wuchten. Zum Glück war Besuch da, der ebenfalls Bock hatte. Perfekte Ausrede, äh, Gelegenheit!
Viele hatten Ascendancy schon vorab abgeschrieben. Eierlegende Wollmilchsau? Das könne ja gar nicht funktionieren, raunten die Unken. Aber halt, einmal tief durchatmen und kurz nachdenken: 4X ist ein weites Feld – wenn irgendwo Vielfalt und „in alle Richtungen denken“ Sinn ergeben, dann hier. Sonst hätten wir am Ende ein 1–2X-Spiel, und wer will schon nur erkunden und all die schönen Gebiete unerobert lassen?
Steckbrief
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Name | Ascendancy |
Erscheinungsjahr | 2024 |
Komplexität | 3.82 (mittel schwer) |
BGG Rank | 7.76 (5526) |
Anzahl Spielende | 1-4 |
Autoren | Matthew Meeple |
Illustratioren | Georgi Minkov, Alexander Nanitchkov, Tuan Nguyen and Miroslav Petrov |
Hersteller | One More Turn Games and GaGa Games |



Unboxing
Die Box ist prall gefüllt mit Material, das zunächst sortiert werden will. Im All-in-Paket lagen Sleeves gleich bei, und mit Einsleeven und Sortieren habe ich locker zwei Stunden verbracht – Pure Brettspiel-Meditation mit Plastikrascheln. Schon beim Öffnen hat mich das Design begeistert: Alles liegt in Trays, die du einfach aus der Box nimmst, Deckel ab, zack auf den Tisch. Diese Trays sind nicht nur Transportbehälter, sondern direkt Spielkomponenten: Jeder Tray bildet einen Arbeiterdistrikt oder dient als Spielertableau. Ordnung, die ans Spielen denkt – I see you, Produktdesign!
Je nach Edition gibt’s zu den hübschen Acryl-Standees auch Miniaturen für die drei Helden jeder Fraktion sowie eine etwas pompösere Figur für die Nemesis. Die Nemesis ist ein KI-Gegner, Pflichtprogramm in kooperativen Szenarien, taugt aber auch gut, um fehlende Mitspieler zu simulieren. (Und sie meckert auch nicht, wenn ich mal einen Fehler mache, weil ich die Regeln noch nicht so drauf hab.)
Aufgebaut wirkt das Spiel zunächst beeindruckend – im Sinne von „Hilfe, wo lege ich überhaupt noch die Anleitung hin und was ist das alles überhaupt?“. In der Mitte liegt die Weltkarte, auf der du deinen Avatar bewegst, erkundest und eroberst. Drumherum sind die vier Distrikte platziert, in denen du jede Runde Arbeiter einsetzt. Auf den Spielertableaus siehst du deine verfügbaren Arbeiter und die Distrikte mit den dort baubaren Gebäuden. Hat man erstmal auf dem Schirm was was ist, kommt man mit der anfänglichen Reizüberflutung gut klar.

Spielprinzip
Bevor es losgeht muss zuerst ein Szenario gewählt werden: rein kooperativ, im Team oder alle gegen alle. Der Aufbau geht dafür erstaunlich fix – für ein 4X sogar verblüffend schnell. Die vorsortierten Trays landen einfach auf dem Tisch, Karten werden gemischt, das Spielfeld aufgebaut. Das Szenario bestimmt, welche Hexfelder gemischt und als Erkundungsstapel bereitgelegt werden. In jede Ecke kommt ein Spielerstartfeld, ggf. auch Startfelder für KI-Gegner. Noch für die zu spielende Rundenzahl entscheiden und fertig. Der gesamte Aufbau dauert unter 10 Minuten.
Die KI platziert per Würfelwurf zufällig ihre Arbeiter in den vier Distrikten. So siehst du sofort, welche Plätze blockiert sind und wohin sich eure Nemesis bewegt. Das spielt sich flott und planbar. Es gibt auch einen Hard Mode, in dem die KI in Zugreihenfolge agiert: dauert länger, ist dafür unberechenbarer. Ganz wie echte Politik. Dann startet die Runde in die erste von vier Phasen.

Hier beginnt der Spaß. Zu Beginn stehen dir vier Meeple unterschiedlicher Stufe zur Verfügung: Outcast (Ausgestoßener), Laborer (Arbeiter), Loyalist und Lord. In den Grenzen deines Reiches kannst du kundschaften, Gegenstände einsacken, dich in der Taverne ausruhen, Gebäude im ersten Distrikt bauen/nutzen oder Monstergefahren ausspähen.
Kleiner Kniff: Du kannst hier schon jeden Arbeiter einsetzen – auch höherrangige –, aber dann fehlt dir später vielleicht die Puste in den anderen Distrikten. Manchmal ist das clever oder sogar notwendig, um deine Ziele zu verfolgen. Und: Höherrangige Arbeiter verdrängen niedrigerrangige von belegten Feldern. Gemein? Ein bisschen. Effektiv? Sehr. Der verdrängte Spieler darf seinen Arbeiter später neu platzieren, also bitte leisen heulen.
Wenn alle Platzhirschkämpfe geklärt sind und niemand mehr setzen kann oder will, werden die Effekte abgehandelt – und weiter geht’s.

Distrikt 2 – The Supply (Die Versorgung)
Die Ökonomie schnurrt hier wie eine frisch geölte Handelskarawane. Du produzierst Nahrung, Eisen, Fertigkeiten und Wissen – hübsche, farbige Cubes, die du auf dein Tableau legst. Gebäude lassen sich bauen und nutzen, die Ressourcenmenge ist knapp, aber sauber auf die Spielerzahl skaliert. Ausnahme-Effekte mal ausgenommen kommen auch keine weiteren Rohstoffe mehr in den Kreislauf.
Ressourcen lassen sich kaufen und verkaufen, und je leerer der Markt, desto teurer (bzw. lukrativer). Ein bisschen wie die Börse, nur ohne Krawatten. Der Outcast aus Distrikt 1 hat hier kein Hausrecht, der bleibt draußen – hier gibt es nur Laborer und bessergestellte.

Distrikt 3 – The Academy (Die Akademie)
Hier setzt der Loyalist die Kappe auf und holt den Füller raus. Du nimmst Quests an, heuerst Söldner sowie Kriegsgerät an, generierst Einfluss und Mana-Steine und, natürlich auch hier, baust oder nutzt Gebäude. Outcasts und Laborer haben hier nichts verloren, der Lord darf aber mitmischen (er ist schließlich Lord).
Distrikt 4 – The Empire (Das Imperium)

Die Kommandozentrale! Hier planst du Bewegung, Erkundung, Siedlungsaufbau, Monsterklatschen oder Belagerungen. Du nutzt Lord und Pferde-Meeple, vieles wird auf der Weltkarte abgehandelt, Kämpfe laufen auf deinem Tableau.
Konzentrierst du dich aufs Erkunden, bewegst du dich auf ein neues Hexfeld, ziehst zwei vom Stapel und wählst eins fürs Spielfeld. Du kassierst das Loot des Feldes und kannst zusätzlich das dort angegebene Adventure angehen – ein Fertigkeitswurf gegen eines deiner drei Attribute. Belohnungen sind offen auf dem Hexfeld markiert, je besser der Wurf, desto üppiger der Gewinn. Praktisch: Du kannst jederzeit einen produzierten Fertigkeitswürfel ausgeben, um ein Attribut permanent zu erhöhen – sogar nach dem Wurf. Moralisch fragwürdig, spielerisch fantastisch.
Wenn du den Conquer-Slot belegst, ziehst du ein zufälliges Monster oder greifst ein zuvor in Distrikt 1 ausgespähtes an, falls nicht gerade ein gegnerischer Avatar auf deinem Feld steht. Der Kampf funktioniert mit einer eleganten Stein-Schere-Papier-Logik: Macht ist gut gegen List, List gut gegen Intellekt, Intellekt gut gegen Macht – taktisch erstaunlich bissig.
Wie funktioniert der Kampf?
Es gibt eine eigene und eine gegnerische Frontlinie sowie je zwei hintere Linien. Von jeder Einheitengattung (Held, Söldner, Monster, Belagerungsgerät) darfst du im Normalfall nur eine mitnehmen, und alle – außer der Held – wollen mit Ressourcen bezahlt werden. Nicht nur Ruhm und Ehre, bitte.
Monster, Söldner und Belagerungsgerät würfeln einen Würfel für Angriff und Verteidigung, die Karten erklären die Effekte. Helden würfeln nicht: Sie haben eine Ausdauerleste und nutzen fest aufgedruckte Techniken – Angriffe, Blocks, Spezialaktionen. Ausdauer regeneriert am eigenen Zugbeginn, also gut haushalten! Nichts ist bitterer, als mit leeren Lungen einen Treffer zu kassieren. So kommt es zu keinen Würfelorgien und die Kämpfe ziehen sich nicht unnötig in die Länge.
Städte anderer zu zerstören geht nur mit Belagerungsmaschine im Gepäck. Hat der Gegner keine Mauer, heißt es: „Gute Nacht, Stadt!“ – Abrissunternehmen ist da. Befindet sich der gegnerische Avatar in der Stadt oder wurde diese aufgewertet, kommt es zum Kampf – Steinkugeln gegen Mörtel.

Dachtest du vielleicht das wäre schon alles? Nein nein mein Freund. Bau ein Gebäude, und die Karten in deinem Distrikt rutschen eine Stufe nach oben – darunter wird ein Tech-Tree freigelegt. Hier schaltest du mit Wissen, Nahrung oder Einfluss weitere Leckereien frei. Jeder Distrikt hat einen festgelegten Helden deiner Fraktion. Das Gebäude selbst bringt eine Fähigkeit, die du ab dann per Arbeitereinsatz im jeweiligen Distrikt zünden kannst.
Mit Wissen schaltest du zusätzliche Technologien frei – teils passiv, teils aktiv. Je höher der Aufwertungsgrad eines Distrikts, desto vielfältiger die verfügbaren Techs. Nahrung dient nicht nur zum Anheuern von Helden, sondern bei höherem Distrikt-Level auch zum Aufwerten eben diesen. Mit jedem Bau steigt die Loyalität deines Reiches, was dir pro Runde mehr Einkommen bringt – vorausgesetzt, du hältst die Instandhaltungskosten im Zaum.
Und wie spielt es sich?
Puh. Viele Möglichkeiten – und trotzdem erstaunlich eingängig, sobald man ein paar Runden gedreht hat. Ich habe hier nicht mal alles erwähnt, und dennoch fügen sich die vielen kleinen Rädchen zu einem erfreulich runden Spielgefühl. Man merkt, wie viel Designarbeit hier drinsteckt: Das System greift wie ein geöltes Getriebe, aber ohne den Geruch. Richtig aufblühen tut Ascendancy bei längerer Rundenzahl, weil dann mehr Zeit bleibt, das eigene Imperium in Ruhe auf- (und die Nachbarn ab-) zu bauen. In kooperativen Szenarien ist dagegen Zeitdruck ein entscheidender Faktor: Die Nemesis ist dort besonders kräftig und hat sogar ein eigenes Gegnertableau. Als Team müsst ihr bis zum Ende genug Power aufgebaut haben, um den Gegner vor Ablauf des Rundenlimits zu schlagen. Ach ja, und es gibt eine kleine Legacy-Mechanik, mit der ihr weitere Szenarien und sogar Technologien freischaltet. (Keine Sorge: niemand muss Karten schreddern. Außer ihr wollt unbedingt.)

Die Zukunft
Aktuell läuft eine Kickstarter-Kampagne für eine Erweiterung – dazu ein Reprint der alten Box sowie eine Big-Box-Variante. Die Erweiterung bringt zwei neue Häuser mit frischen asymmetrischen Fähigkeiten; die maximale Spielerzahl steigt damit von 4 auf 6. Das neue Hauptthema der Underworld-Erweiterung: Dungeons! Die Unterwelt kann nun betreten und erkundet werden – Hol also schonmal die Fackeln raus.
Dazu kommen praktische Quality-of-Life-Verbesserungen, u. a. ein überarbeitetes Quest-System und ein optionales Quick-Combat-System für noch flottere Gefechte. Ansonsten gilt: mehr von dem, was schon Spaß macht – neue Legacy-Karten, Nemesis-Varianten, Szenarien, und generell mehr Karten für alle Bereiche. Wer die erste Kampagne verpasst hat, kann sich jetzt aus den Schatten hervorheben.
Was ich mir persönlich wünschen würde, sind dickere Overlays für die einzelnen Trays. Die aktuell dünnen Overlays haben sich während der Spielzeit durch die Wärme immer weiter hochgewellt und waren nicht nur unschön anzusehen, sondern brachten auch Probleme bei der Meeple-Platzierung.
Bewertung
Ascendancy fühlt sich nach echtem Fantasy-4X an: erkunden, expandieren, aufwerten, looten, vernichten – und zwischendurch charmant verhandeln. Alle Elemente greifen ineinander, ohne sich gegenseitig auf die Füße zu treten. Die Spielzeit ist – je nach gewünschter Rundenlänge – für ein 4X erstaunlich handhabbar, ohne an Tiefe zu sparen. Das Arbeiter-System gibt jeder Runde Struktur, der Tech-Tree liefert langfristige Ziele, die Kämpfe sind zugänglich, aber mit genug Kniff, und die Szenarien setzen jeweils eigene Akzente. Hab ich schon erwähnt das es im kooperativen Adventure-Modus sogar einen Verräter unter den Spielern gibt? Ein wenig Social Deduction ist also auch dabei.
Wir wollten das Spiel eigentlich nur mal anspielen. Daraus wurde 2 komplette Tage durchzocken. Schaffen auch nicht viele Spiele bei mir.
Ich bin auf jeden Fall bei der Erweiterung dabei. Das Spiel bockt. Wenn du 4X magst, Worker Placement nicht scheust, dann setzt die Krone auf, sattelt das Pferd und zeig deinem Nachbarn wer jetzt der Babo in der Stadt ist.
Ascendancy ist viel X und null Langeweile.

(c) Copyright One More Turn Games
Grafik(en) und Bild(er) von analog rockt
Bausteine: Das Spiel ist selbst erworben. Diese Rezension ist unentgeltlich durchgeführt worden und spiegelt meine persönliche Meinung wider.
Am liebsten verliere ich mich in Kampagnenspielen mit Story, Drama und am besten noch moralischen Entscheidungen, die mich nachts wachhalten. Weil was ist schon Entspannung, wenn man auch Existenzkrisen simulieren kann?
Abseits von Kampagnen mag ich´s knackig: Leichte Spiele sind okay, aber mein Herz schlägt für Kenner- und Expertenspiele bei denen das Gehirn nicht einfach nur mitmacht, sondern sich zwischendurch abmeldet und Urlaub beantragt.
Aber: Ich bin auch nur ein Mensch. Wenn das Thema stimmt und die Optik knallt, bin ich sofort verzaubert. Mein Motto? "Theme is King!" – Und ich bin sein loyaler Untertan.