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analog rockt Brettspielrezensionen

Guards of Atlantis II

Der Artikel wurde von Horst geschrieben. 13 Minuten Lesezeit

Als mein kleiner Sohn geboren wurde und ich in der Anfangszeit irgendwo zwischen totalem Delirium und Wachzustand wie ein Zombie die Nächte durchgemacht habe, habe ich zur Ablenkung nachts ein paar wenige Runden Fortnite gespielt. Für mich eine totale Neuheit sich online mit einer großen und fremden Gruppe Menschen zu treffen und gegenseitig niederzumähen. Wahrscheinlich gibt es in der Computerspielbranche dafür einen Fachbegriff, der aus ziemlich vielen großgedruckten Konsonanten besteht. Wer mich mit seinem Wissen außerhalb der analogen Welt bereichern möchte, schreibt es bitte in die Kommentare. Warum diese Einleitung zu Fortnite? Weil Stefan aus der Männerspielrunde irgendwann mit dem sperrigen Titel Guards of Atlantis II ankam. Seine Vorfreude auf das Spiel konnte er mit seinem breiten Grinsen kaum verleugnen. Normalerweise lasse ich mich davon gerne anstecken, doch dann kam der Abturner „Area Control“, „wir hauen uns alle auf die Mütze“, „Team Battler“. Okay….naja, einmal spielen können wir es ja. Was mich dort aber erwartet hat, war dann doch überraschend.

Steckbrief

NameGuards of Atlantis II
Erscheinungsjahr2022
KomplexitätMedium
BGG Rank8.42 (956)
Player Count (Recommended)4-10 (4-6, 6, 8)
AutorenArtyom Nichipurov
IllustratiorenMartin Bulteau, Stéphane Dumoulin, Jeremy Forveille, Karolina Jędrzejak, Gaël Lannurien and Kim Van Deun
HerstellerWolff Designa
Boardgamegeek-Plugin von Meeple Like Us

Spielprinzip

In Teams erkämpfen wir uns die Vorherrschaft von Atlantis. Damit es nicht ein schnödes Tabletop-Spiel und auf die Mitspielenden Einprügeln ist, beglückt uns die Insel mit einer Reihe weiterer Features.

Starten wir aber erst einmal mit Sieg- und Niederlage-Bedingungen. Das Spielfeld ist in mehrere Zonen unterteilt. Zu Spielbeginn befinden sich die jeweiligen Minions – unsere dummen Schergen – auf der mittleren Zone. Wir können versuchen diese Verteidigungslinie in das feindliche Lager zu verschieben um zu gewinnen. Dafür müssen die unbeweglichen, gegnerischen Minions in einer Zone geschlagen werden. Damit verlagert sich das Spiel in die nächste Zone. Zwei aufeinanderfolgende Siege trennen die Atlantis-Wächter von den Verlieren.

Wir selbst spielen asymmetrische Charaktere. Abhängig von der Personenanzahl bekommt jedes Team Lebenspunkte. Erwischt man beim Austeilen an die Minions „aus Versehen“ einen gegnerischen Charakter ohne dass dieser sich verteidigen kann, verliert das Team einen Punkt. Ohne Lebenspunkte kein Fleißbienchen für Atlantis mehr.

Zu guter Letzt und damit Atlantis viel später auch die Chance hat glorreich unterzugehen, gibt es eine feste Rundenanzahl, die für ein Ende sorgt. Dabei kann man ein kurzes oder langes Metzelvergnügen wählen. Eine kurze Partie endet, in etwa, nach der dritten Runde. Welches Team diesen letzten Zonenkampf für sich entscheidet, gewinnt dann die Partie.

Damit hätte man mich noch nicht aus der Tiefe des Ozeans hervorgelockt und sicherlich hätte sich sogar Poseidon nur müde im Marianengraben dafür herumgedreht. Das Spiel offenbart eine taktische Tiefe, die sich sowohl im Teamspiel, als auch Handkartenmanagement und Strategie beim Leveln der Charaktere niederschlägt.

An dieser Stelle lohnt sich ein Blick auf die asymmetrischen Charaktere. Da gibt es den Tank, der sich vor Kraft kaum bewegen kann. Da braucht es im Team schon jemanden, der andere Figuren schieben oder ziehen kann. Mein Favorit ist ein Charakter, der einen Geschützturm auf dem Spielfeld platzieren kann. Bei geschicktem Stellungsspiel gibt es durch Kreuzfeuer ordentlich Schadenspunkte. Was bei der Teamaufstellung schon ganz besonders wichtig ist (und schon Teil des Spielspaßes wird), sind die aufeinander abgestimmten Fähigkeiten. Ihr merkt schon mit nur einer gespielten Runde hat man das Spiel noch gar nicht wirklich ausgepackt.

Das Charaktertableau mit den vier Slots je Runde. Links ist der Levelbaum zu sehen.

Wie spielt es sich? Es gibt immer nur fünf Handkarten und zu Spielbeginn hat jede Person auch nur ganz spezielle fünf Karten zur „Auswahl“. Es gibt eine goldene, silberne, blaue, rote und grüne Karte. Die goldene und rote Karte sind Angriffskarten, wobei die goldene meist eine ganz besondere Eigenschaft des gewählten Charakters repräsentiert (z.B. Turm platzieren, Figur schieben o.ä.). Die silberne Karte dient primär zur Verteidigung oder wieder einer Spezialfähigkeit. Mit der blauen Karte bewegt man sich, während die grüne irgendwelche weiteren Skills Verwendung findet. Das ist eher eine grobe Orientierung, da alle Karten eine Primär- und eine Sekundäraktion haben. Ist verwirrend, weil man sich beim Ausspielen entscheidet welche davon zum Einsatz kommt. Die primären Aktionen sind in der Regel immer Bewegung oder Verteidigung, während die sekundären Aktionen den Spaß bringen.

Jede Runde geht über vier Züge. Vor jedem Zug müssen alle synchron eine Karte auswählen und verdeckt auf den Tisch legen. Dabei dürfen sich die Teams beraten und untereinander abstimmen. Aber immer offen am Tisch. Zwar kann man sich verdeckt Karten zeigen, aber geredet wird offen. Es gilt nun sowohl die Initiative als auch die gemeinsame grobe Taktik abzustimmen. Legt jemand Fallen aus, könnt ihr die Bewegung der Gegner einschränken. Durch Angriffe oder auch Fähigkeiten kann man einen Gegner der wenigen Handkarten berauben. Handkarten benötigt man für einen der vier Züge oder zur Verteidigung (die Karte wird dann mit einem entsprechenden Verteidigungswert abgeworfen). Hat jemand in der vierten Runde keine Karte mehr, wird dieser Charakter zur leichten Beute, was dem Team einen wichtigen Lebenspunkt kosten kann.

Die unterschiedlichen Taktiken, das Stellungsspiel, die Ausnutzung der Karten, das Handkarten-Management – das ist die absolute Stärke des Spiels und ist dann weit aus mehr als dumpfes Aufeinandergeklöppel.

Am Rundenende gibt es dann noch die Möglichkeit mit erhaltenen Erfahrungspunkten seinen Charakter aufzuleveln. Die zur Verfügung stehenden Punkte orientieren sich daran, wie viele Einheiten oder Charaktere in der Runde von einem oder den Teamkameraden vernichtet wurden. Das Steigern läuft über den Austausch von Handkarten. Ihr habt für jede Farbe zwei neue Karten zur Auswahl, dürft aber pro Anstieg auch nur eine Farbe steigern. Von den beiden zur Verfügung stehenden Karten, kommt eine auf die Hand und die andere wird unter das Heldentableau gelegt. Dort gibt sie je nach Art einen dauerhaften Initiativ-, Angriffs- oder Kampfbonus. Das Besondere daran ist, dass eine Karte stets eine direkte Verbesserung der alten Karte ist und die andere eine neue taktische Ausrichtung für den Charakter. Auch hier entstehen in der nächsten Runde Überraschungen, wenn plötzlich eine ganz neue Fähigkeit ins Spiel kommt.

Im Übrigen spielen sich die Partien recht flüssig, sofern keine Neulinge dabei sind. Wir haben eine Partie zu viert auch schon mal in 45 Minuten dank kompletter Überlegenheit des einen Teams gezockt. In der Regel dauert eine Partie aber die normalen 90 bis 120 Minuten eines regulären Brettspiels.


Unboxing

Stefan hat für Atlantis das all-you-can-play-Menü gekauft. Das Grundspiel kommt mit sieben verschiedenen Charakteren. Natürlich mit Miniaturen, sowie Miniaturen für die Minions. Die Miniaturen sind hochwertig und mit vielen Details versehen. Leider ist Stefan wie ich auch ein Anmal-Muffel und wir haben uns bislang nur mit grauen Figuren gebattelt.

Die Karte von Atlantis gleicht eher einem Hexagon-Schlachtfeld als einer schönen Landkarte. Bei Atlantis erwartet man Wassermassen, aber das Meer wird eher an den Rand gerückt. Thematisch liegt der Schwerpunkt des Spieles eher auf den Guards statt auf Atlantis. Zumindest habe ich vergeblich nach prächtigen goldenen Städten der vergangenen Kultur gesucht.

Mein aktueller Lieblingscharakter Trinkets kann mit seinem Turm ganz schön Nerven.

Sucht man etwas zum Meckern geht das natürlich auch. Das nachhalten des eigenen Levels hätte ich mir eher mit einem Steinchen auf einem Double-Layer-Board gewünscht. Aktuell wird eine Karte unter das eigene Spielbrett gelegt. Spätestens wenn noch die abgeworfenen Karten als Verstärker unter das Brett gelegt werden, kommt es zu einem chaotischen Hin- und Herschieben.

Ach und noch eine Sache, die beim Design auch eher Kopfschütteln verursacht. Die Zeichen auf den abgeworfenen Karten, die unter das Spielbrett gelegt werden, sind falsch herum gedruckt. Kleiner Faux-Pas, der einfach zu beheben wäre.

Zu dem Regelwerk kann ich nicht viel sagen, da ich es nicht selbst gelesen habe. Allerdings sind die grundlegenden Regeln erstaunlich schnell erklärt. Bereits nach der ersten Runde haben auch alle einen Plan, wie es abläuft. Der Teufel steckt eher in dem Erlernen der besten Kombis des eigenen Charakters und dann natürlich das Zusammenspiel mit dem Team.

Wer einmal einen unverbindlichen Blick auf das Spiel werfen möchte, kann sich bei Tabletopia der Online-Variante erfreuen. Diese haben wir allerdings nicht getestet.


Bewertung

Asymmetrische Teams kämpfen in einer Arena aka Atlantis um den Sieg. Langweilig? Ganz sicher nicht. Guard of Atlantis II ist kein einfacher Skirmischer aka Haudrauf-Gemetzel, sondern ein taktisch hervorragendes Spiel. Die Teams können die unterschiedlichen Eigenschaften ihrer Charaktere miteinander kombinieren, um die gegnerische Mannschaft ins Chaos zu stürzen. Das Aufleveln ermöglicht eine Neuausrichtung der Charaktere und damit die Beeinflussung der weiteren Kampfgeschehnisse. Die Regeln sind schnell erklärt, dass Meistern im Team herausfordernd. Die beste Taktik mit dem Charakter auszuloten braucht mehr als eine Partie. Damit sollte Guards of Atlantnis II schon ein paar intensivere Runden gewidmet werden. Dann wird man allerdings auch mit einem tollen Team-Spiel belohnt.

Manko ist eher die Personenanzahl. Es macht am meisten Spaß mit einer geraden Anzahl an Personen. Der gefühlte Sweetspot entfaltet Atlantis bei sechs Spielenden. Zu acht ist zu viel willkürliches Chaos auf dem Feld und zu viert kommt gut Stimmung auf, aber wer es einmal zu sechst spielen durfte, weiß warum ich das als Sweetspot bezeichne.

Gedanklich vergleiche ich es wegen dem turnierhaften Modus mit dem viel simpleren Challengers. Hier liegen aber Welten dazwischen. Wer die Chance hat Wächter von Atlantis zu werden, sollte dies unbedingt machen. Kaufen sollte man es insbesondere, wenn man regelmäßig vier oder noch besser sechs Spielende an den Tisch bekommt.

Aus meiner Sicht vergebe ich drei von vier Wächtern aufgrund der besonderen Anzahl von Personen. Das macht es sehr wahrscheinlich nicht zu einer dauerhaften Naturkatastrophe auf dem Tisch.


MOBA

Ich musste dann vor der Veröffentlichung doch noch recherchieren, wie dieses Begriff heißt (siehe Einleitung). Es handelt sich um MOBA – Multiplayer Online Battle Arena. Bekannte Computerspiele in diesem Genre heißen League of Legends und DotA 2 (Defense on the Ancients). Für mich alles böhmische .. äh .. atlantische Dörfer.


Björns Meinung

Ich bin ja eigentlich überhaupt kein Fan dieser MOBA-Games (auch wenn das „O“ hier eher für Offline steht), aber das Spiel hatte eine großartige Tischpräsenz – und da hab ich’s dann doch mal ausprobiert. Und ich muss sagen: Ich kann nur immer wieder betonen, dass man auch Dinge ausprobieren sollte, die man sonst sofort abschreiben würde.

Guards of Atlantis II ist ein gelungenes Teamspiel. Ich kann Horsts Ausführungen eigentlich nichts hinzufügen – außer meine volle Zustimmung.

Das Spiel ist viel zu schade, um unbemalt auf dem Tisch zu stehen. Die Anzahl an Minis hält sich sogar in Grenzen. Und wie ich hörte war es bereits sehr oft im Einsatz. Da wäre es sich sicher auch lohnenswert gewesen. Wie Horst hätte ich mir allerdings auch Double-Layer-Boards für die Spieler gewünscht. Alles wirkt hochwertig produziert – und dann spart man ausgerechnet an so etwas? Schade. Würde dem Spielverlauf wirklich guttun, denn so rutscht gerne mal alles kreuz und quer durch die Gegend.

Ich habe bisher nur Runden zu sechst gespielt – und ehrlich gesagt will ich mir das Spiel auch gar nicht anders vorstellen. Ich glaube, erst in dieser Besetzung entfaltet sich die Teamdynamik so richtig.

Apropos: Wenn man nicht schneller untergehen will als Atlantis selbst, sollte man sich vielleicht nicht einfach blind den coolsten Helden aussuchen, sondern sich gut mit dem Team absprechen.

Schönes Spiel – ich würde es mir selbst zwar nicht ins Regal stellen, aber auf ein paar weitere Runden hab ich definitiv Lust. Dann könnte aber die Luft für mich raus sein.

Bills Meinung

Ich muss mich vielen der Aussagen Horsts und Björns anschließen, denn MOBA wäre kein Spiel, welches ich mir digital anschauen würde. Aber auch analog rockt dieses Thema nicht so richtig für mich. Area Control oder Arena sind weit entfernt von meinen Lieblingsmechaniken in Brettspielen und unter dem Titel Guards of Atlantis habe ich mir ehrlicherweise etwas ganz anderes vorgestellt. Eher im Thema Fantasy-Survive oder Dungeon-Crawler, und hätte mich damit vielleicht wohler gefühlt.

Da haben auch die von Horst beschriebenen Punkte, Vielfältigkeit der Charaktere und die strategischen Möglichkeiten, leider kein Spitzengefühl in mir gefördert. Ich würde den Titel niemals vorschlagen, wenn wir uns auf einen gemeinsamen Spieleabend vorbereiten, geschweige denn eine eigene Kopie davon anschaffen.

Die möglichen Charaktere sind aber umfangreich und alle gut durchdacht, mit viel Fantasie erschaffen und die Modelle hübsch designed. Gerade ersteres hilft, sich dann doch ein wenig ausprobieren zu können. Dennoch wird in meinen Augen allein dadurch kein gutes Spiel daraus.

Aber warum habe ich es dann bereits zweimal gespielt und mich auf die Verabredung zur dritten Partie eingelassen? Es war die Gesellschaft. Mit Horst und Björn waren da bereits zwei meiner Lieblingsmenschen am Tisch und mit den anderen drei Spielern ergab sich zusammen ein tolles gesellschaftliches Gefühl. Das bedeutet, dass mir diese Menschen am Tisch eher zu einem guten Abend verholfen haben, als das Spiel an sich. Mit diesen Leuten würde ich es immer wieder spielen.

Daher ist Guards of Antlantis für mich persönlich ein Flop und würde mit 1-2 Rockern in der Bewertung auskommen müssen. Gewonnen hat für mich an dieser Stelle die gute Gesellschaft am Spieltisch.


(c) Copyright Wolff Designa

Bannerbild ausnahmsweise mittels KI mit Hilfe von Microsofts Copilot generiert. Ich brauchte einfach etwas mehr Tsunami im Bild. Verständlicherweise gab es hier keine „guten“ Bilder in freien Online-Archiven.

Icons von Icons8

Grafik(en) und Bild(er) von Horst Brückner

Diese Rezension ist unentgeltlich durchgeführt worden und spiegelt meine persönliche Meinung wider.


Autoren Posts

Thematische, narrative und verzahnte Spiele ... hier geht mein Herz auf. Dazu eine stimmige Vinyl-Schallplatte (oder Playlist) und los geht das Abtauchen in die Spielwelt. Als Spielleiter und Spieler kann ich mich auch vortrefflich in Pen-und-Paper-Welten tummeln. Bei Videospielen bin ich raus. Ist mir meist zu schwer (einzige Ausnahme: Super Mario Kart).

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